Rattatashöhle und Klingengraben
Donnerstag 13.07.2023
Wanderführerin: Lisa Rikirsch, 14 km
Unseren groß angepriesenen Gruppenfahrschein nach Holzheim können wir uns knicken. Der DB-Automat am Bahnhof will von einer Haltestelle Holzheim absolut nichts wissen. Der als zweite Lösung herangezogene Busfahrer behauptet, von einem Gruppenfahrschein noch nie etwas gehört zu haben. Er macht zumindest noch den Versuch, in seinem Terminal so etwas Exotisches zu finden, leider ohne Erfolg. So müssen wir eben, statt für 2,20 Euro hin und zurück fahren zu können, diesen Betrag für Hin- und Rückfahrt jeweils separat hinlegen. Es tröstet uns allerdings, dass das von Helgas Schwester in Wuppertal gelöste 49-Euro Ticket von der Technik im Frankenland überhaupt keine Anerkennung findet. Der Busfahrer hat schließlich ein Erbarmen mit ihr und nimmt sie auch so mit.
Das Thermometer steigt langsam gen 35 Grad, als wir zum Auftakt, quasi zum Aufwärmen, die Treppen zum Holzheimer Sportplatz hinaufsteigen. Die erklommene Hochebene bietet so gut wie keinen Schatten und so gönnen wir uns an der ersten sich bietenden Waldecke eine Trinkpause mit tollem Blick nach Nürnberg hinein. Die Wanderführerin nimmt die Gelegenheit wahr, hier bereits erste Ausführungen über das Highlight der Wanderung, die Rattatashöhle, darzubieten. Um dem gebotenen Schatten zu folgen ändern wir die Route leicht ab und stehen somit unvermittelt vor dem „Schusserkreuz“. Ein ehemaliges Steinkreuz mit zwei eingemeißelten Pflugscharen, dem leider die „Arme“ abhandengekommen sind. Der Legende nach sollen hier zwei Buben beim „Schussern“ in Streit geraten sein. Mit den scharf geschliffenen Pflugscharen, welche sie vom Dietersdorfer Schmied abgeholt hatten sind sie offensichtlich aufeinander losgegangen und haben sich dabei gegenseitig so stark verletzt, dass sie nebeneinander liegend verblutet sind. Wir nutzen den Schatten des Waldes bis zum Nemsdorfer Golfplatz und umwandern diesen bis zu unserem, wieder im Wald liegenden Ziel, der Rattatashöhle. Unser heimlicher Unterstützer Roland Reck aus Regelsbach, ehemaliger Kollege unserer Wanderführerin, der den Besitzer der Höhle kennt, erwartet uns hier mit dem Schlüssel, welcher uns den Zutritt zur Höhle ermöglicht.
Sie entstand nicht durch natürliche Erosion oder sonstige Naturgewalten, sondern der Raum ist durch Menschenhand entstanden. Nach geologischem Verständnis ist sie also gar keine richtige Höhle. Ihr Gestein, der sogenannte Stubensandstein, war vor über 100 Jahren quasi Einstreu für die Böden im Wohnbereich der Menschen, um den Schmutz zu binden und für Sauberkeit zu sorgen. Kehrte man den Sand beim Hausputz wieder heraus, entfernte man damit auch gleichzeitig den darin gebundenen Dreck. Hinzu kam die Funktion als Scheuermittel. Böden, aber auch Tische und Töpfe wurden mit dem feinen hellbeigen Sand von hartnäckigen Rückständen befreit. Durch seine poröse Beschaffenheit konnte er leicht durch Auskratzen der Wände in der Höhle abgebaut werden. Bizarre Formationen und Säulen entstanden. Das war die Arbeit des sogenannten „Sanders“. Er verdiente seinen Lebensunterhalt, indem er die Höhle pachtete und den gewonnenen Sand in Nürnberg an die Hausfrauen verkaufte. Anscheinend war der letzte dieser Sander ein besonders musikalischer Geselle, der sich die Einsamkeit gern durch allerlei Gesänge vertrieb. Die mündliche Überlieferung erzählt von Versen wie „mein Herz ist rein rattata, rattata“ und schon hat man die Erklärung für den ziemlich ungewöhnlichen Namen der Höhle.
Und dann ist da noch die Geschichte mit dem – fast echten – Gespenst und dem ganz großen Auftritt: 2004 war die Höhle nämlich einer der Schauplätze des TV-Films „Das Gespenst von Canterville“. Hauptdrehort war das Steiner Faberschloss, doch für eine besonders gruselige Szene reichte die ehrwürdige Atmosphäre des alten Gemäuers nicht aus. Es sollte etwas Ausgefalleneres sein. So kam man auf die Rattatashöhle. Und die Filmcrew scheute keine Kosten und Mühen, wie sich Norbert Miederer, der Besitzer der Höhle erinnert: „Die sind mit einem Haufen Leute und Technik hier angekommen und haben einen kompletten Swimmingpool in die Höhle eingebaut – ein Riesenaufwand.“ Und tatsächlich: an den schroffen Steinwänden kann man noch Reste des Klebers entdecken, mit dem damals die Poolfolie befestigt worden war. Das Gespenst war ein hochmodernes, computergestyltes Animationsgeschöpf und schwebte effektvoll über dem Wasser – das Ganze gruselig ausgeleuchtet, begleitet in den dunklen Gängen vom Hauptdarsteller, einem kleinen Jungen. Ein Höhepunkt der Höhlengeschichte.
Die Begeisterung unserer Wandergruppe, mit Taschenlampen das faszinierende Säulenlabyrinth bis in die hintersten Ecken zu erforschen und vielleicht doch noch das Gespenst zu entdecken, will schier kein Ende nehmen.
Wir müssen weiter, über Eckershof wenden wir uns dem wieder schattigen Klingengraben zu. An der Quellhöhle müssen wir, um nicht trotz Trockenheit, im Matsch zu versinken, über Baumstämme balancieren. Kurz vor drei Uhr erreichen wir unser Einkehrziel, den Winzerhof in der Gerasmühle. Eine super Wahl, einzig, warum für uns die Tische im Innern des Gasthauses gedeckt sind, entzieht sich unserem Verständnis. Gut gestärkt müssen wir nun noch einmal den Berg auf die Hochebene hinaufsteigen. Am oberen Zaun entlang des Geländes des „500 mm Feldbahnmuseums“ können wir Einblick in einen Teil der hier befindlichen, umfangreichen Sammlung dieses Vereins erhalten. Von dem Ende April hier entdeckten „Wunderlauch“, „Seltsamer Lauch“ oder „Berliner Bärlauch“ ist leider zur Enttäuschung einiger Neugieriger, keine Spur mehr zu finden.
Text und Bilder: Roland Rikirsch